WIE ANITHA WIEDER ZUR SCHULE GING
Im ländlichen Ruanda ist gerade Schulschluss. Während der Rest der Kinder nach Hause eilt, versammeln sich Anitha und ihre Freunde aus dem Kinderclub im Schulhof. Dort stapeln sich Schilf und andere Materialien, denn die Kinder wollen hier gemeinsam Körbe flechten. Während sie an den Körben arbeiten, erzählen sie sich Geschichten und lachen zusammen.
Die Kinder haben Freude, doch für Anitha geht es hier um mehr als um eine handwerkliche Beschäftigung. Mit dem Verkauf der Körbe, die sie im Kinderclub herstellt, kann sie die Kosten für ihre Schulsachen decken und ihre Familie unterstützen. Zumal es gar nicht lange her ist, dass sie ihren Schulbesuch aussetzen musste, da der Familie das Geld fehlte. Jetzt geht sie wieder zur Schule und ist entschlossen ihren Abschluss zu machen.
WIE KINDERARBEIT DEN SCHULABBRUCH ERZWINGT
2017 war Anitha gerade einmal neun Jahre alt, als die Armut ihrer Familie dazu führte, dass sie sich den Schulbesuch ihrer Tochter nicht mehr leisten konnten. Die Familie verlangte von Anitha zu arbeiten, um die sich stapelnden Rechnungen zu bezahlen. "Ich brach die Schule ab, als ich die 5. Klasse erreichte, weil meine Eltern es sich nicht leisten konnten. Ich hatte keine andere Wahl, als die Schule abzubrechen", sagt sie.
So zählte Anitha zu den mehr als 132 Millionen Mädchen weltweit, die ebenfalls keine Schule besuchen; verdrängt duch Armut wie bei vielen anderen unter ihnen.
"ICH HABE DIE SCHULE NACH DER 5. KLASSE ABGEBROCHEN, WEIL MEINE ELTERN ES SICH NICHT MEHR LEISTEN KONNTEN. ICH HATTE KEINE ANDERE WAHL!" - ANITHA, 13
Zunächst begann Anitha, Wasser für die Menschen in der Nachbarschaft zu holen. Bei dieser Arbeit muss sie schwere Krüge und Kanister über lange Strecken in der heissen Sonne von Brunnen und Wasserhähnen zu den Häusern der Menschen tragen. Sie verdiente umgerechnet 7 bis 11 Rappen für einen Tag harter Arbeit.
Um mehr Geld zu verdienen, begann Anitha, Zuckerrohr auf einem lokalen Markt zu verkaufen. Das Zuckerrohr muss mit grossen Messern oder Macheten geschnitten werden, um es für den Verkauf vorzubereiten. Das ist keine Arbeit für eine Neunjährige. Die hohe Verletzungsgefahr dabei, macht es zur illegalen Kinderarbeit, obwohl das Gesetz weitgehend missachtet wird. Aber mit dem Verkauf von Zuckerrohr verdiente Anitha mehr als das Doppelte von dem, was sie mit dem Wassertragen einnahm (etwa 22 – 29 Rappen pro Tag), und ihre Familie war auf das Geld angewiesen.
Anitha war eines von Millionen von Mädchen, die in einem Kreislauf der Armut gefangen sind, der dann ausgelöst wird, wenn Kinder gezwungen werden, die Schule abzubrechen. Aber Antiha hatte Glück.
Anithas ehemalige Schule hatte mit der Unterstützung von Right To Play einen Kinderclub gegründet. Sie hatte noch Kontakt zu einigen ihrer ehemaligen Schulkameraden, die Mitglieder im Club waren, und diese luden sie ein, sich ihnen bei einer spielerischen Aktivität nach der Schule anzuschliessen.
SPIELEN FÜR DIE UNABHÄNGIGKEIT
Schon bald nahm Anitha regelmässig an den Clubtreffen teil, bei denen die Kinder malten, spielten und handwerkliche Arbeiten wie Spielzeug oder Körbe anfertigen. Das Spielen mit den anderen Kindern war eine freudige Abwechslung, nach einem langen Arbeitstag auf dem Markt.
Stephanie, eine der Lehrerinnen, die den Club unterstützten, forderte Anitha auf, wieder in die Schule zu kommen. Es war ein Schulclub, und wenn sie weiterhin teilnehmen wollte, musste sie zurück in den Unterricht kommen. Anitha war besorgt, dass die Schulbehörde ihre Wiedereintritt verweigern würde, aber Stephanie half ihr, sich wieder einzuschreiben. Mit Stephanies Unterstützung gelang es Anitha auch, ihre Eltern davon zu überzeugen, sie wieder zur Schule zu schicken.
"WIR HABEN SIE DARIN BESTÄRKT, DASS EINE ERFOLGREICH ABGESCHLOSSENE SCHULBILDUNG IHRE ALLE MÖGLICHKEITEN OFFEN LÄSST UND SIE IN ZUKUNFT EINE WICHTIGE ROLLE EINNEHMEN KANN. ABER SIE MUSS AUFHÖREN ZU ARBEITEN UND WIEDER ZUR SCHULE GEHEN." - STEPHANIE, LEHRERIN VON ANITHA
"Anitha kam zurück in den Club und wir fingen an, alle Aktivitäten gemeinsam zu machen, zu malen, zu werken, zu spielen und viele andere Aktivitäten in direktem Bezug zur Grundbildung", sagt Stephanie.
Geld blieb für Anitha und ihre Familie weiterhin ein Hindernis, aber der Kinderclub hatte eine Lösung für sie. Eine der handwerklichen Aktivitäten des Clubs war die Herstellung von Körben, und Anitha war hervorragend darin. Der Club half ihr bei der Herstellung der Körbe, die sie dann in ihrer Freizeit verkaufen konnte. Die Tage gefährlicher Kinderarbeit waren für Anitha gezählt – kein hantieren mehr mit Macheten und kein kräftezehrendes Tragen schwerer Wasserkanister in glühender Hitze. Sie verdiente sogar mehr Geld. Jeden Korb verkaufte sie für so viel Geld, wie sie bei einem ganzen Tag auf dem Markt verdient hätte.
Im Gewahrsein, wie ihr Leben ohne Bildung aussehen würde, ging Anitha zielstrebig zur Schule zurück. Ihre Lehrer waren beeindruckt von ihrem Fleiss und wie sehr sie sich für den Unterricht begeisterte.
"MEIN HERZ WAR MIT GLÜCK ERFÜLLT. ICH FING AN, MIT VOLLEM EHRGEIZ ZU LERNEN UND WURDE DADURCH KLASSENBESTE." - ANITHA
Trotz den widrigen Bedingungen der weltweiten Pandemie, ging Anitha weiterhin zur Schule. Sie verkauft immer noch Körbe, um ihre Schulsachen und ihren Schulbesuch zu finanzieren, und sie ist immer noch Mitglied des Clubs. Jetzt, da sie nicht mehr gezwungen ist, den ganzen Tag zu arbeiten, nutzt sie die Zeit, um zu lernen und um anderen Kindern zu helfen, die wie sie einst zur Kinderarbeit gezwungen waren.