MÄDCHENRECHTE IN PAKISTAN STÄRKEN: MADIHAS GESCHICHTE
EINE BESSERE ZUKUNFT FÜR MÄDCHEN IN PAKISTAN
Ein Mädchenteam jagt einem Fussball auf dem einzigen Spielfeld in einer Kleinstadt in Pakistan hinterher. Ihre Trainerin, Madiha (22), feuert sie an. Eine Spielerin stürmt mit dem Ball nach vorne und schiesst ein Tor. Die Mädchen jubeln und rennen hinüber zu Madiha, um den Treffer mit ihr zu feiern.
Das Spiel ist eine seltene Gelegenheit für die Mädchen, in der Öffentlichkeit zu feiern und zu spielen. Ohne Madihas Einsatz für ihre Rechte wäre das nicht möglich.
Madiha wuchs in Thatta in der Provinz Sindh auf, eine der konservativsten Gegenden Pakistans. Dort sollen sich Mädchen nicht alleine in der Öffentlichkeit zeigen. Madiha stellte diese Tradition in Frage. Sie wollte sich nicht vorschreiben lassen, was sie oder andere Mädchen zu tun oder zu lassen haben.
"ICH HABE NIE AN SPORT GEDACHT, WEIL FRAUEN BEI UNS NIE SPORT MACHEN. ABER ALS ICH ANFING FUSSBALL ZU SPIELEN, WURDE ICH SELBSTBEWUSSTER UND FÜHLTE MICH BESSER." - MADIHA, 22, TRAINERIN
BILDUNG FÜR MÄDCHEN IN PAKISTAN
In Thatta ist das Leben schwierig für Mädchen, die versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen.
„Ich lebe in einer Gemeinde, in der das Leben von Mädchen traditionell stark eingeschränkt ist. In abgelegenen Gegenden dürfen Mädchen keine Schule besuchen. Sie dürfen nur dann das Haus verlassen, wenn es unbedingt nötig ist“, sagt Madiha.
In diesem Umfeld wuchs Madiha auf – und hatte mehr Glück als viele andere Mädchen. Ihr Vater ermutigte sie, zur Schule zu gehen. Und nicht nur das: Zuhause spielte er mit ihr Fussball und entfachte damit ihre Liebe zum Spiel. Im Gegensatz zu Jungs konnte Madiha allerdings nur zuhause trainieren.
Als Madiha in der sechsten Klasse war, wurde in Thatta ein Right To Play-Fussballprogramm ins Leben gerufen.
„Anfangs zögerte ich, weil es in unserer Gesellschaft unüblich ist, dass Mädchen Sport machen.“
Doch schon bald war sie Junior Leader, arbeitete mit anderen Mädchen zusammen und war Vorsitzende des örtlichen Jugendbeirats (Youth Advisory Committee, YAC) des Programms. Ihr wachsendes Selbstbewusstsein auf dem Spielfeld führte zu mehr Selbstvertrauen im Klassenzimmer. Sie war 2018 das erste Familienmitglied, das eine Universität besuchen durfte. Und das obwohl sie aus einer Gegend stammt, in der viele Mädchen nie die Grundschule abschliessen.
„Ich war schon immer gut in der Schule, aber meine Eltern meinten, dass die Uni kein Ort für eine Frau sei. Obwohl ich gute Noten hatte, konnte ich sie nicht vom Gegenteil überzeugen. Durch die Teilnahme an den Right To Play-Aktivitäten wurde mir jedoch klar, wer ich wirklich bin und dass ich meine Rechte einfordern kann. Dann konnte ich auch meinen Vater überzeugen, mich zur Uni zu schicken.“
"ICH KONNTE MEINE ELTERN VON EINEM STUDIUM ÜBERZEUGEN. DAS IST NAHEZU UNGLAUBLICH FÜR JEMANDEN, DER AUS EINER FAMILIE WIE DER MEINEN KOMMT." - MADIHA
MÄDCHEN IN PAKISTAN ÜBER SPORT STÄRKEN
2019 war Madiha eine von vier Botschafterinnen, die für die FIFA Club-Weltmeisterschaft ausgewählt wurden. Hier hatte sie die Möglichkeit, andere Spielerinnen und Spieler aus der ganzen Welt zu treffen und ihre Erfahrungen mit ihnen zu teilen.
Nach ihrer Rückkehr beschlossen Madiha und die anderen YAC-Mitglieder ihre eigenen Sportteams zu gründen, um Mädchen und Jungen auch weiterhin zu unterstützen. Sie versuchten Mädchen für das Team zu rekrutieren – was sich als äusserst schwierig herausstellte.
„Am Anfang bestand mein Team aus drei Mädchen. Ich bekam viel Kritik und Druck von Leuten aus der Gemeinde, sogar aus meiner eigenen Familie. Sie fingen an, mich zu belästigen. Sie schickten mir Nachrichten von unbekannten Nummern, in denen sie mich fragten, ob ich zum Fussballplatz kommen würde“, erinnert sie sich. „Ich merkte, dass die Leute mich beobachteten. Einige drohten mir regelrecht. Sie wollten verhindern, dass ich die Mädchen trainiere. Ich begann mich sehr unsicher zu fühlen. Ohne die Unterstützung von männlichen Freunden und den anderen Botschafter:innen und Trainer:innen, wäre ich nicht weiter zum Fussballplatz gegangen.“
„Unsere grösste Herausforderung bestand darin, herauszufinden, wie wir die Mädchen sicher und mit der Zustimmung ihrer Eltern auf den Fussballplatz bringen können. Also bin ich zu den Eltern nach Hause gegangen und habe sie davon überzeugt, dass es nicht darum geht, Fussball zu spielen, sondern um die mentalen und körperlichen Vorteile des Sports“, sagt sie.
"ICH MUSSTE MICH DEN ANFEINDUNGEN STELLEN, SONST WÄRE ES DEN LEUTEN GELUNGEN, MIR ANGST EINZUJAGEN." - MADIHA
WIE MÄDCHEN IN PAKISTAN IHR SELBSTVERTRAUEN STÄRKEN
Madihas Mut zahlte sich aus. Langsam wurden die Drohungen weniger und Eltern begannen, ihre Töchter zu unterstützen. Inzwischen gibt es sechs Mädchenteams mit Spielerinnen im Alter zwischen 12 und 22 Jahren.
Als Roshan Rastay, ein neues Right To Play-Programm 2021 in ihrer Gemeinde ins Leben gerufen wurde, schloss sich Madiha erneut an. Roshan Rastay nutzt Sport und Spiel, um Kindern den Weg in die Schule zu ebnen und ihnen Life-Skills wie Selbstvertrauen zu vermitteln. Madiha und ihre Freund:innen haben seit dem Start des Programms 50 neue Junior-Leader und 12 Trainerinnen ausgebildet.
„Mein Ziel ist es nun, weitere Generationen von Kindern zu fördern. Ich muss jedes Mädchen in meiner Gemeinde ermutigen. Mit der Hilfe meiner Freundinnen werde ich den Grundstein für den ersten Mädchenfussballverein in der Geschichte von Thatta legen. Ich möchte das erste Mädchen aus Thatta sein, das eine kostenlose Mädchenfussballakademie gründet“, sagt sie.