Wie Eltern das Lernen und die Entwicklung ihrer Kinder spielerisch unterstützen
Ein kleiner Junge, der nicht älter als fünf Jahre ist, sitzt im Schneidersitz auf einer geflochtenen Grasmatte auf dem Betonboden eines Klassenzimmers in Uganda. Sein Name ist Joseph und vor ihm stehen runde, bunte Spielzeugbecher. Jeder ist auf der Unterseite nummeriert und leicht unterschiedlich gross - gerade so gross, dass es einige Zähl- und Vergleichsfähigkeiten erfordert, um sie erfolgreich vom grössten zum kleinsten zu sortieren. In der richtigen Reihenfolge lassen sich die Becher entweder ordentlich ineinander schachteln oder zu einem spitzen Turm aufstapeln.
Konzentriert streckt Joseph die Zunge heraus und stapelt die Formen nach oben statt nach innen. Mit dem grössten Becher als Basis beginnt er, den lila Becher zu stapeln, dann den blauen Becher und dann den roten. Der gelbe Becher sieht gerade noch richtig aus, aber halt! Als er versucht, ihn obenauf zu setzen, ist er ein bisschen zu schmal.
Was ist mit grün? Er übt sich im Zählen, prüft die Grössenverhältnisse der Behälter und versucht es erneut.
"Du probierst jede Farbe aus", sagt eine Frau, die neben ihm auf dem Boden sitzt. "Du prüfst, welche Farbe passt."
Und tatsächlich, erst grün, dann gelb, dann dunkelblau. Der Turm wächst, bis der Junge seinen Arm in die Höhe strecken muss, um eine orangefarbene Schicht darauf zu legen.
"Du weisst genau, welcher als nächstes kommt", sagt die Frau ermutigend. "Du baust das so gross!"
Als er die letzte Tasse auf den Tisch stellt und damit das bunte Werk vollendet, schaut Joseph die Frau neben sich namens Amari zufrieden an.
"Du hast so hart daran gearbeitet", sagt sie mit einem anerkennenden Klatschen.
Der Austausch ist natürlich, aber Amaris Worte sind sorgfältig gewählt. Sie ist Elternbildnerin bei Right To Play's neuem Programm "Play to Grow Parenting" und leitet eine Schulungssitzung für Eltern in ihrer Gemeinde - Eltern wie Josephs Mutter, die auf der anderen Seite der Matte sitzt und beobachtet, wie Amari mit ihrem Sohn umgeht.
Play to Grow wird derzeit in sieben Flüchtlings- und Stadtgemeinden in Uganda und Tansania erprobt. Im Programm arbeiten Eltern und Betreuer:innen von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren zusammen. Sie erhalten Strategien und Unterstützung, um spielerisch die sozialen und emotionalen Fähigkeiten ihrer Kinder sowie das frühe Lesen und Rechnen zu fördern. Eltern, die in der Lage sind, auf die frühen Entwicklungs- und Bildungsbedürfnisse ihrer Kinder einzugehen, können die Grundlage für das zukünftige Lernen und Wachsen ihrer Kinder stärken.
ENGAGIERTE ELTERN BEREITEN IHRE KINDER AUF DEN ERFOLG VOR
Erwachsene spielen im Leben eines Kindes unbestreitbar eine wichtige Rolle. Die enge Beziehung eines Kindes zu Erwachsenen in den ersten Lebensjahren kann ein entscheidender Faktor für sein Lernen und seine Entwicklung sein. Studien zeigen zum Beispiel, dass die Nähe zwischen Erzieher:innen und Kind im Kindergarten das Verhalten, die sozial-emotionale Entwicklung und den schulischen Erfolg eines Kindes vorhersagen kann. Die Art der Aufmerksamkeit, die ein Kind von seiner Mutter oder seinem Vater erhält, kann grundlegend beeinflussen, wie es lernt und die Welt um sich herum erlebt. In einem Land wie Uganda, in dem nur 10 % der Kinder zwischen drei und fünf Jahren eine formale Vorschulbildung erhalten, spielen auch die Eltern eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung der Kinder auf den Übergang zur Schule.
"DURCH DAS SPIEL HABEN DIE ELTERN DIE MÖGLICHKEIT, MEHR ÜBER IHRE KINDER UND DEREN HOBBIES ZU ERFAHREN. DAS HILFT DEN ELTERN, IHREN KINDERN NÄHER ZU KOMMEN." - JOEL KARAGWE, GRUNDSCHULLEHRER UND ELTERNBILDNER, PLAY TO GROW
LOKALE FÜHRUNGSPERSÖNLICHKEITEN HELFEN ELTERN, SICH ZU ENTWICKELN
Als Elternbildnerin ist Amari ein wichtiger Teil der Unterstützung von Right To Play bei der Entwicklung von Schlüsselkompetenzen für Eltern. Sie ist eine von mehr als 200 Personen, die Right To Play in Uganda und Tansania ausbildet, um das Play to Grow Programm durchzuführen. Alle Elternbildner:innen, wie Amari, die Grundschullehrerin ist, sind vertrauenswürdige Gemeindemitglieder, die bereits regelmässigen Kontakt zu den Familien vor Ort haben (z. B. Lehrpersonen und Gesundheitshelfer:innen). Amari wurde von Right To Play geschult, um Play to Grow in ihrer Gemeinde durchzuführen.
Über einen Zeitraum von sechs Monaten wird sie 12 zweiwöchentliche Sitzungen für Eltern aus der Region abhalten, in deren Mittelpunkt das Erlernen und Üben von neun wichtigen elterlichen Fähigkeiten zur Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung und der frühen Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten von Kindern steht. Im wöchentlichen Wechsel leitet Amari auch Elternselbsthilfegruppen, in denen sich die Programmteilnehmenden in einem sicheren, vorurteilsfreien Raum treffen, um ihre individuellen Erfahrungen zu besprechen und sich gegenseitig zu unterstützen. Als Elternbildnerin führt sie zudem monatliche Hausbesuche durch, um Eltern zu unterstützen, indem sie ihre Fähigkeiten im Umgang mit ihren Kindern beobachtet und trainiert.
Im Laufe des 24-wöchigen Programms wird Amaris harte Arbeit durch wöchentliche Radiosendungen ergänzt, die die Eltern in ihrem Lernen und Wachsen bestärken. Die Sendungen sind so konzipiert, dass sie die Lektionen verstärken, die Eltern während der Sitzungen mit den Elternpädagogen lernen. Sie behandeln Themen wie Konfliktbewältigung, spielerisches Rechnen und die Stärkung des Selbstwertgefühls von Kindern und Eltern. Da dort, wo Play to Grow aktiv ist, nicht jeder Zugang zu Fernsehen oder Internet hat, sollen mittels Radioübertragung so viele Eltern wie möglich erreicht werden.
FÄHIGKEITEN AUSBILDEN UND BINDUNGEN AUFBAUEN
Durch Play to Grow lernen Eltern nicht nur die sozial-emotionalen und schulischen Entwicklungsbedürfnisse ihrer Kinder kennen, sondern auch Fähigkeiten und Strategien, um diese Bedürfnisse selbst zu erfüllen. Right To Play stützte sich bei der Entwicklung von Play to Grow auf ein klinisches Programm, das von der Universität von Texas entwickelt wurde, sowie auf seine eigene spielbasierte Methodik und sein Fachwissen. Lokale Expert:innen für Familienberatung halfen dann bei der Anpassung des Programms für Ostafrika. Play to Grow vereint die Wissenschaft der frühkindlichen Gehirnentwicklung, der Spieltherapie, der Bindungsprinzipien zwischen Kind und Eltern und der zwischenmenschlichen Neurobiologie und ist einzigartig in der Art und Weise, wie es stärkere Beziehungen zwischen Kindern und Eltern fördert.
Während sie Joseph beim Spielen zusah, zeigte Amari durch ihre Reaktion auf seine Handlungen, wie eine aufmerksame Erziehung die Bindung vertiefen kann.
Als sie sich auf die Matte setzte, versuchte Amari nicht, sich sofort in ein "Spiel" mit Joseph zu stürzen. Sie schlug ihm nicht vor, wie er die bunten Becher verwenden sollte, und versuchte auch nicht, ihm eine Lektion zu erteilen. Stattdessen überliess sie ihm die Führung und konzentrierte sich darauf, seine Handlungen zu beschreiben ("Du probierst jede Farbe aus"), damit er ihre Fürsorge und Aufmerksamkeit spüren konnte. Sie benutzte eine positive Sprache, um Josephs Leistungen zu würdigen und sein Selbstwertgefühl zu stärken ("Du weisst genau, welche Farbe als Nächstes kommt"). Als er das letzte Teil auf die Spitze seines Turms setzte, ermutigte sie ihn zu seiner Anstrengung ("Du hast so hart daran gearbeitet"), anstatt "guter Junge" zu sagen oder ihn einfach dafür zu loben, dass er die Aufgabe beendet hatte.
"WAS WIR GELERNT HABEN, WIRD UNSERE GEMEINSCHAFT VERBESSERN UND DIE BEZIEHUNG ZWISCHEN KINDERN UND IHREN ELTERN STÄRKEN." - ROSETTE OWAMAHORO, GRUNDSCHULLEHRERIN UND ELTERNTEIL, UGANDA
Wenn Elternbildner wie Amari diese Strategien mit den Eltern teilen, ist die Wirkung enorm. Die Eltern lernen, wie sie Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse in den Alltag integrieren können. Sie helfen damit ihren Kindern, grundlegende Fähigkeiten zu erlernen, die die Schulreife verbessern. Wenn sie Fähigkeiten zur Verbesserung des Verhaltens anwenden, zeigen die Eltern selbst positive Verhaltensweisen. Wenn Mama oder Papa beispielsweise ruhig auf die Wut eines Kindes eingehen, anstatt mit der gleichen Emotion darauf zu reagieren, helfen sie dem Kind, sich zu beruhigen.
Das Verhalten der Eltern hat sich durch das Erlernen dieser Strategien bereits verändert. In Tansania ist der Anteil der Eltern, die die Aussage "Ich muss starke Worte benutzen oder mein Kind anschreien, damit es sich benimmt" bejahten, von 45 % (Tansania) zu Beginn des Programms auf 0 % gesunken. Ein entscheidender Effekt, da harte Disziplin und körperliche Züchtigung in Play to Grow Gemeinschaften weit verbreitet sind.
Ruhigere, spielfreudigere Haushalte sind auch weniger stressig - was für Familien in humanitären Situationen besonders wichtig sein kann. In Uganda, wo Play to Grow die Flüchtlingsbevölkerung in Adjumani und Isingiro unterstützt, wurden die Programmressourcen in mehrere Sprachen übersetzt, um so viele Familien wie möglich zu erreichen, unabhängig davon, woher sie kommen.
ELTERN, DIE SICH GEGENSEITIG UNTERSTÜTZEN, UM IHRE KINDER BESSER ZU FÖRDERN
Play to Grow fördert das psychosoziale Wohlbefinden der Kinder ebenso wie der Eltern. Während einer Elternselbsthilfegruppe bietet Amari einen warmen und akzeptierenden Raum, in dem sich Eltern und Betreuende gegenseitig unterstützen können. In der vierten Woche des Programms moderiert sie ein Gespräch über die Sicherheit in der Familie. Die Eltern werden ermutigt, darüber zu sprechen, wie sie ihre Kinder schützen, aber auch, wie sie sich selbst schützen und versorgen. Während der 10-minütigen Sitzung leitet Amari eine Aktivität zur Förderung des Selbstmitgefühls an. Sie fordert die Eltern auf, die Augen zu schliessen, tief einzuatmen und über die Gefühle nachzudenken, die sie empfinden. Wie fühlt sich ihr Körper an? Gibt es ein Unbehagen? Wo?
Zum Abschluss der Übung bittet Amari die Eltern, eine Hand auf ihr Herz zu legen und tief einzuatmen.
"Bringen Sie bewusst Entspannung und Freundlichkeit zu sich selbst", sagt sie. "Sagen Sie sich: 'Möge ich sanft und verständnisvoll zu mir selbst sein.'" Genauso wie sie lernen, mit ihren Kindern zusammen zu sein, indem sie auf sie eingehen und mit ihnen spielen.
Das Pilotprojekt "Play to Grow" wird in Zusammenarbeit mit der LEGO Foundation durchgeführt.